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3 Fragen an Pierre Maudet, Regierungsrat Kanton Genf

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Pierre Maudet, Regierungsrat Kanton Genf, referiert am Bahnkongress zum aktuellen Stand der Planungen für 2050 und zeigt dabei den Handlungsbedarf in der Region Genf auf.

Die Schweizer Eisenbahnwelt blickte auf Genf, als der Léman Express im Dezember 2019 eingeweiht wurde. Wie beurteilen Sie die binationale S-Bahn fünf Jahre nach ihrer Inbetriebnahme?

Mit mehr als 70'000 Nutzern pro Tag seit seiner Inbetriebnahme vor weniger als fünf Jahren, ist der Léman Express eindeutig ein Erfolg und übertrifft die gesteckten Ziele bei Weitem. Er stellt eine bedeutende Verbesserung der Mobilität in der Region dar.

Der Preis für diesen Erfolg: der Léman Express kämpft bereits mit Kapazitätsproblemen aufgrund überfüllter Züge zu Spitzenzeiten und einer Sitzplatzauslastung von bis zu 160%.

Dieser Erfolg zeigt den grossen Bedarf an einem Ausbau des S-Bahn-Netzes. Die gemeinsame Perspektive und eine gute Rollenteilung angesichts der neuartigen Herausforderungen waren die entscheidenden Erfolgsfaktoren. In der Tat mussten die französischen und schweizerischen Behörden und Betreiber in allen Bereichen ein System der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit buchstäblich erfinden, damit die Züge 45 Bahnhöfe auf 230 km verbinden können.

Der Léman Express hat insbesondere dazu beigetragen, den grenzüberschreitenden Strassenverkehr zu reduzieren, der zwischen 2010 und 2019 stark angestiegen war (+19%). Auf dem Korridor, den der Zug bedient, konnte der motorisierte Individualverkehr (MIV) um täglich 12'500 Fahrten reduziert werden.

Besonders beeindruckend ist die Wirkung in der Region Annemasse, wo der Anteil des öffentlichen Verkehrs von 6% auf 17% gestiegen ist, während der Anteil des Autos von 92% auf 81% gesunken ist.

Der Léman Express hat eine Lücke in der Verkehrslandschaft des Grossraums Genf geschlossen, indem er für sämtliche Reisen eine praktische, effiziente und nachhaltige Lösung bietet.

In den Agglomerationen spielt der Regionalverkehr eine dominierende Rolle. Wo liegen die grössten Herausforderungen für Genf?

Die gute wirtschaftliche Lage des Grossraums Genf mit seinen 1.5 Millionen Einwohnern geht mit einem Bevölkerungswachstum einher. Tägliche grenzüberschreitende Pendlerbewegungen, für die noch immer hauptsächlich das Auto genutzt wird, charakterisieren die Verkehrsströme.

In diesem Zusammenhang besteht eine der grössten Herausforderungen für Genf darin, das Angebot auf dem bestehenden Léman Express zu verstärken. Dank der guten Zusammenarbeit mit unseren Partnern auf Bundes- und Regionalebene haben wir eine Reihe von gezielten Massnahmen identifiziert und werden damit das Angebot in naher Zukunft erhöhen. Der Kauf von Doppelstockzügen ist dabei von entscheidender Bedeutung.

Eine weitere Herausforderung ist der Ausbau des S-Bahn-Netzes in der Agglomeration durch den Bau einer neuen strategischen Nord-Süd-Infrastruktur, um den Léman Express zu erweitern. Diese neue Achse sieht vor, sowohl das Viertel der internationalen Organisationen als auch die Industriegebiete und neue Stadtviertel zu bedienen.

Um diesen Problemen zu begegnen, versuchen der Kanton Genf und die SBB, alle Möglichkeiten zur Erweiterung des Angebots auszuschöpfen. So wurde kurzfristig beschlossen, dass die RegioExpress-Züge, deren Doppelstockwagen über mehr Sitzplätze als die S-Bahnen verfügen, alle CEVA-Bahnhöfe zwischen Genf Cornavin und Annemasse bedienen. Mit demselben Ziel erreichte der Kanton Genf, dass in einem von der KÖV und der CTSO (la Conférence des transports de la Suisse occidentale) eingebrachten Änderungsantrag im Rahmen der parlamentarischen Behandlung des Standberichts 2023 zum Strategischen Entwicklungsprogramm Bahninfrastruktur (STEP) eine Massnahme aufgenommen wurde, welche die Öffnung des bestehenden Furet-Tunnels (Verbindungskurve zwischen Lancy-Pont Rouge und der Linie Genf-La Plaine) für den Personenverkehr ermöglicht, um direkte Verbindungen zwischen Annemasse und dem Flughafen zu schaffen.

Mittelfristig wird über den Kauf von kapazitätsstärkerem Rollmaterial mit 100m-Zügen (derzeit 75m) und Doppelstockzügen nachgedacht, die auf dem französischen und schweizerischen Netz verkehren können.

Der Kanton prüft zudem zusammen mit der SBB die Möglichkeit, das Angebot des Léman Express am Abend, in der Nacht und am Wochenende zu erweitern. Dieses zusätzliche Angebot stellt einen starken Hebel dar, um den Modal Split-Anteil des öffentlichen Verkehrs insgesamt zu erhöhen und den Bedürfnissen der Bevölkerung auch im Bereich der sogenannten Freizeitfahrten gerecht zu werden.

Längerfristig plant Genf mit einer neuen Nord-Süd-Achse des Léman Express eine neue strategische Infrastruktur, um seine dichten Arbeitsplatz- und Wohngebiete zu bedienen, die derzeit nicht an das Schienennetz angeschlossen sind: Diese neue Achse sieht im Norden vor, das Viertel der internationalen Organisationen (fast 30'000 Arbeitsplätze), den Flughafen, die Gemeinde Meyrin (drittgrösste Gemeinde in Genf und zehntgrösste in der Romandie mit 26'000 Einwohnern) und die ZIMEYSAVER (Industriezone Meyrin-Satigny-Vernier, bedeutendste Gewerbezone des Kantons mit fast 30'000 Arbeitsplätzen im Jahr 2030) zu erschliessen. Im Süden geht es darum, die geplanten städtischen Entwicklungen in der Industriezone von Plan-les-Ouates (12'500 aktuelle Arbeitsplätze und 5'000 zusätzliche Arbeitsplätze in den nächsten zehn Jahren) und dem benachbarten neuen Stadtteil Cherpines (langfristig 10'000 Einwohner) zu begleiten. Zudem erlaubt diese neue Nord-Süd-Achse das Angebot im Stadtzentrum zu verstärken (Züge im 7.5-Minuten-Takt) und den Léman Express auf französisches Territorium in Hochsavoyen und im Pays de Gex zu erweitern.

Um all diese Herausforderungen der zweitgrössten Schweizer Agglomeration zu bewältigen, zählt der Kanton auf die finanzielle Unterstützung des Bundes und die technische Unterstützung der SBB.

Welche Massnahmen werden Sie ergreifen, um diese Herausforderungen zu meistern?

Da für die Massnahme der Nord-Süd-Achse des Léman Express in der 2018 verabschiedeten STEP-Botschaft keine Planungsmittel berücksichtigt wurden, plant Genf erneut Planungsvorhaben in die STEP-Botschaft einzugeben, die 2026 dem Bundesparlament vorgelegt werden soll. Die Realisierungsmassnahme soll dann in die STEP-Botschaft 2030 fliessen. Vor diesem Hintergrund hat der Genfer Grosse Rat einen Studienkredit von 30 Mio. CHF bewilligt, um bis 2026 technische Vorstudien und Studien zur Stadtplanung durchzuführen.

Gleichzeitig haben die Genfer Behörden in Absprache mit dem BAV veranlasst, dass in das Programm für den unterirdischen Ausbau des Bahnhofs Cornavin der Bau eines doppelgleisigen Tunnels zwischen dem Flughafen und Cornavin, anstelle des ursprünglich geplanten eingleisigen Tunnels, aufgenommen wird. Diese Anpassung ermöglicht es, die notwendige Kapazität für die Integration der neuen Nord-Süd-Achse in den Genfer Eisenbahnknoten zu gewährleisten. Die Anpassung kostet 285 Mio. CHF und wird vollständig vom Kanton (205 Mio. CHF) und der Stadt Genf (80 Mio. CHF) finanziert.

Auf regionaler und nationaler Ebene unterstützt der Kanton Genf zusammen mit dem Kanton Waadt die Schaffung einer neuen Eisenbahnverbindung Genf-Lausanne, um die Zuverlässigkeit und Stabilität dieser Hauptachse zu gewährleisten (um betrieblichen Folgen wie bei den jüngsten Ereignissen, z.B. der Gleisabsenkung in Tolochenaz oder den durchtrennten Kabeln in Renens zu vermeiden, welche die gesamte Achse blockiert haben). Dies ist für die beiden wichtigsten Agglomerationen der Genferseeregion und für die gesamte Westschweiz mit ihren Verbindungen zu allen anderen Landesteilen von grosser Bedeutung. Für die Planung dieser neuen Infrastruktur, mit einem Realisierungshorizont bestenfalls bis 2050, müssen Finanzmittel bereitgestellt werden, die den Herausforderungen entsprechen. Die erste Tranche, die in der Botschaft STEP 2023 für Perroy-Morges bewilligt wurde, muss in den nächsten Botschaften mit weiteren Mittelfreigaben ergänzt werden, um die gesamte zweite Linie zu realisieren.